Notizen Erich Brändle
aus den Jahren 1980 bis Gegenwart
(Auswahl von Tildy Hanhart)
1980:
"An artist paint, so that he has something to look at: At times he must write, so that he has something to read."
(Barnett Newman)
1982:
"In Sachen der Kunst ist Gelehrsamkeit fast etwas wie eine Niederlage. Worauf sie ihr Licht wirft, ist nicht das eigentlich Beglückende. Was sie vertieft ist nicht das eigentlich Wesentliche. Sie setzt ihre Hypothesen an die Stelle des Gefühls, ihr erstaunliches Gedächtnis an die Stelle der Gegenwärtigkeit des Wunders." Paul Valéry
Alle Argumente vermögen nichts gegenüber einem tiefen, grundlosen Wohlgefallen.
Es gibt keine Rechtfertigung für ein Kunstwerk als dass man es immer wieder anschauen möchte. Die moralischen, philosophischen und praktischen Motive sind in Bezug auf das Kunstwerk minderwertig.
"L'art est l'absolu de la forme. La science est le rélatif de la form." C.F. Ramuz
1997:
Meine Bilder sind reliefartig indem sie geringen Tiefenraum mit räumlicher Handlung erfüllen wollen. Dazu sparsame horizontale und vertikale Gesten. Damit lässt sich alles elementar darstellen, was die Wirklichkeit an elementaren Empfindungen in unserem Gemüt bewirken kann. Diese Empfindungen sind selber schon Bilder des Geschehens in der Welt. Freilich sind es bei meinen monolithischen Bildanlagen stets nur einzelne solcher Empfindungsmotive mit ihren Modalitäten. Für die Gleichzeitigkeit mehrerer Motive bräuchte es wie bei den Alten, Poussin etwa, mehrere Figuren auf ein und demselben Bild. Abb: 1993.08 Öl Leinwand 38 x 46 cm oder 1994.12 Öl Leinwand 55 x 65 cm
Um 2001, nach einer zwanzigjährigen Periode ungegenständlicher Tafelbildern erneute Zuwendung zur Gegenständlichkeit Abb: 2001.09 Schaaren Öl auf Leinwand 55 x 65 cm
2001:
Tägliches Gefühl des Neuanfangs oder zumindest, dass alles Bisherige vorläufig sei.
2005:
In dem Masse als durch Cézanne (auch Manet u.a.) das Sehen (der Wirklichkeit) selber zum Gegenstand geworden ist, kann nicht Fertiges mehr im Sinne Van Eycks, Raffaels, ja auch noch Tizians und Chardins gemacht werden. Denn das Sehen selber, mit dessen Vorbestimmtheit durch ästhetische Vorlieben und darüber hinaus noch im Verein mit den veränderlichen Modi der Ansichten und des Lichts, ist höchst wandelbar.
2006:
Fast jede meiner Empfindungen beim Malen oder Zeichnen erinnert mich an eine ähnliche in meiner Jugend. Auch die Enttäuschungen und die Ermutigungen sind die Gleichen geblieben. Etwa Maler der Vergangenheit, die ähnliche Schwierigkeiten empfanden und doch weitergemacht hatten. Oder etwas, das mir gefällt und von dem ich denke, dass es mir auch zu machen möglich wäre. Freilich, all dies immer unterlegt von Zweifel an der Verlässlichkeit der solchen Empfindungen zugrunde liegenden Urteilen.
Der Begriff „Kunstwerk“ ist ungeeignet um etwas Qualitatives auszudrücken und er bezeichnet auch keine Gattung. Was der Mensch ausserhalb seiner tierischen Funktionen hervorbringt ist prinzipiell Kunstwerk, ob es sich um eine Wäscheklammer, eine Enzyklika, eine chemische Verbindung oder um ein Bild handelt.
Den Begriff nur auf Bilder, Gedichte, musikalische Kompositionen anzuwenden ist ebenso Unfug wie ihn zur qualitativen Auszeichnung (dieses Bild ist ein/kein Kunstwerk) zu gebrauchen. Es gibt sprachliche, bildnerische, architektonische, musikalische Kunstwerke, die an geistigem Gehalt über einer Wäscheklammer, einem Gesetzestext, einem Signalton, einem überdachten Autoabstellplatz stehen. Aber sie tun das nicht einfach dadurch, dass sie Kunst-(=Menschen-) Werke sind oder einer bestimmten Werkgattung angehören.
2007:
Wir leben doch recht eigentlich von den Brosamen die vom Tische der Kunstgeschichte fallen.
Horsol-Kulturen. Wie das so kultivierte Gemüse scheint die zeitgenössische Kunst völlig ohne natürlichen Boden auszukommen.
Lichtenbergs Satz wonach die Erläuterungen zu einem Kunstwerk wie Anatomie Vorlesungen zu einem Sonntagsbraten seien, lassen daran denken, dass etwa Tizian jene sinnenhafte Selbstverständlichkeit zukommt und im Vergleich damit Kunst der Gegenwart fast nurmehr wie Anlass für Kommentare funktioniert, und das Werk weitgehend ersetzt.
Bis zu Ingres unterscheiden sich die Zeichnungen der Meister von denen ihrer Schüler nur durch die Qualität. Spätestens im zwanzigsten Jahrhundert sind die Zeichnungen der Anfänger aber entweder akademisch und unkünstlerisch oder aber billig genialisch und künstlich salopp. Dagegen sind jene der grossen Modernen prinzipiell unnachahmlich, weil individualistisch. Nachbildungsversuche sind deshalb immer peinlich. Die einzige grosse Ausnahme ist Giacometti: Er bewegt sich eigentlich, selbst noch bei seiner später ausgeprägten Handschriftlichkeit, auf schulmässiger Grundlage ohne sie je wirklich zu verlassen. Dabei ist er wohl der grösste Zeichner seiner Zeit und vermutlich darüber hinaus.
Dogma:
Mein Bild soll sich von jenen anderer nicht durch absichtliche Betonung stilistischer Unterschiede unterscheiden.
Ebenso soll das Motivische möglichst frei sein von absichtsvoller Besonderheit, etwa um besonders zeitgenössisch zu erscheinen.
Die Methode ist unsicher, umständlich. Ausgangspunkt sind Zeichnungen, Fotografien für die äussere Struktur. Die Erinnerung ist zuständig für die Farbe. Das Bild ist aber erst fertig, wenn nur noch in einem ganz äusserlichen Sinn an das Motiv erinnert.
Jeweils abends bei beginnender Dämmerung, oder beim trüben Licht der Deckenlampe gefallen mir meine Bilder am besten und der erbärmliche Eindruck den sie beim unerbittlichen Tageslicht auf mich machen, ist dann für einen Moment vergessen.
Bei der Arbeit an den Bildern, vorab an kleinen konkreten Einzelheiten, ist jede noch so geringe Verbesserung dann doch mit einem Anflug von Glücksgefühl verbunden. Wie bei einem Schachspieler, der sich ganz der schönen Problematik des nächsten Zuges hingibt* ohne an den Sieg zu denken.
*’... Mais s’il n’y avait pas de difficultés où serait l’amusement? ... (Flaubert an Turgenjew, octobre 1876.
Den Ton den ich suche, finde ich kaum in der Wirklichkeit – ausser sommers in der Landschaft, aber auch da muss ich übersetzen. Es ist ein Ton, den es nur in der Malerei geben kann. Ja, dieser Ton, von dem ich nicht mal weiss, ob er nicht ebenso sehr von der Struktur abhängt, vielleicht sogar noch vom Gehalt des Motivs.
Vallotton: Seine "Paysages composés" muss ich mir als Prinzip fürs Eigene überlegen. Überhaupt sind mir Antipoden meist fruchtbarer als charakterlich Verwandte. Letztere geben gefühlsmässigen Rückhalt, verführen aber leicht zu äusserlicher Nachahmung, erstere hingegen geben nur Ideen, die dann neu zu verarbeiten sind. Überhaupt mein Eigenes: Der Traum von einem Gesamtton, von Struktur durchlebt, darin mehr Abbild des Lebens als des Motivs selber. Dann aber immer der Kampf mit der Unvollendbarkeit aus Gründen der mangelnden "Objektivität"’". Eben auch darin wie im Leben selber.
Wenn ich meine Interessen und Motive betrachte und meine inneren und äusseren Handlungen bedenke, zeigt sich: Als kleinster gemeinsamer Nenner meines Lebens zeigt sich eine ‚recherche d’un temps perdu’. Weniger meines eigenen als vielmehr eines imaginierten andern, gebildet aus realen, literarischen und vorab künstlerischen Fundstücken.
Giacometti fusst gleichzeitig auf dem sichersten wie auch auf dem schwankendsten Grund: Auf dem Sehen des Wirklichen, mithin der Gleichsetzung von Sichtbarkeit und Wirklichkeit. Eigentlicher Gegenstand oder Motiv der Malerei ist das Sehen. Und dieses ist immer neu. Abb: Alberto Giacometti 1951, und 1960 (Galerie Bernard 1975)
"Was ich in der Malerei liebe, ist der Moment, in dem sie einen Ewigkeitsausdruck findet ... aber ohne dass dies benannt wird: eine Ewigkeit im Alltäglichen, erfasst an der nächsten Strassenecke." Renoir
Im Konventsaal von Katharinental die im weissen Stuck der Decke eingelassenen Leinwandbilder entsprechen meiner seit längerer Zeit gehegten Vorstellung, wonach Tafelbilder in rohe Betonwände mit einer Schattenfuge eingelassen am schönsten wirken würden.
Man verdichtet und verdichtet bis das Bild fast erstickt. Matisse brauchte das nicht. Er hatte Erfolg und Abnehmer. Er kam nicht zum Gefühl, dass es um zu überzeugen einer Komprimierung bedürfe, deren Sprengkraft den Kerker der künstlerischen Isolation zu sprengen vermöchte.
Unter den Malern berühren mich wie Wohltaten: Werke von Lorrain Abb: Claude Lorrain um 1640 10 x 16 cm British Museum London, Chardin, Morandi, die Madonna mit der Wachtel von Pisanello und die kleine Petersburger Madonna von Simone Martini. Abb: Simone Martini 1284-1344 Madonna um 1340-1344)
Vom Motiv ist der Haupt- oder Gesamteindruck am wichtigsten und der bleibt in der Erinnerung haften. Aber malen kann ich den Haupteindruck nicht ohne die Einzelheiten, die ich aber nicht zu erinnern vermag. Also brauche ich Zeichnungen und Photos. Erstere, sofern es nur schnelle Skizzen sind, vermitteln den Gesamteindruck und die bildnerische Idee am besten, nützen aber für die Ausarbeitung wenig. Photos oder Detailzeichnungen geben fast nichts vom Haupteindruck wieder, aber sie sind gleichsam das Skelett das der Erinnerung Konkretheit gibt.
2009:
Seit Gedenken bemühe ich mich, Ordnung in meinen Arbeiten und Notizen zu haben. Aber dies scheint aus mir selbst verborgenen Gründen unmöglich und so bin ich genötigt in Leonardos Beispiel Trost zu finden, der den Strom seiner sprunghaften Einfälle auch nicht in eine Ordnung zu bringen vermochte.
Völlig unfähig, planmässig, konstruktiv und einer klaren Vorstellung folgend zu malen, arbeite ich an vielen Bildern gleichzeitig, mache ein bisschen da was, dann dort, selten mehr als eine Viertelstunde an einem Stück. Gewiss gibt es so etwas wie eine allgemeine Vorstellung, vorab von einem Gesamtton. Dabei ist dieser in der Stimmung ganz dem 19. Jahrhundert verhaftet und erst noch den weniger Modernen jener Zeit. Corot etwa, keinesfalls die kristallklare Farbigkeit Cézannes oder Van Goghs. Ja, alt fühle ich mich darin schon seit je. Mein Dogma, wonach Stil, ja sogar die Bildidee nicht spekulativ, ja nicht einmal konstruktiv zustande kommen solle, ist mehr der Rehabilitierung einer Unfähigkeit als einer Einsicht geschuldet. Es ist nämlich nicht so, dass ich Naivität derart weitgehend hochschätze, wie es viele Moderne tun. Ich halte das für ein Zeichen der Dekadenz. Man denke mal, Poussin würde über Naivität reden! Das wäre nicht mal bei Lorrain vorstellbar. Und dann das Motivische der letzten Jahre - das Reduktionistische der Bilder zuvor täuschte nur darüber hinweg, im Kern hat sich nicht so viel verändert, ja, das sind doch weitgehend Reprisen sehr alter Landschaftsmalerei und schlimmer; sogar Cézannes Badende tauchen auf Abb: 1998.20 Badende Cézanne Öl Leinwand 38 x 55 cm. Dies halt einfach weil ich dergleichen im Sommer sehe und mir das eben gefällt. Wäre ich ein richtiger Deutscher, würde es mein Wille vielleicht zustande bringen, die Motive unter politischen oder zumindest intellektuellen Gesichtspunkten zu wählen, oder doch wenigstens so aufzufassen. Natürlich ist daran auch das Beispiel Giacometti schuld, der sogar die ungemein belasteten Äpfel malen konnte als wäre er der Erste. Auch Morandi ist, was diese alles erschwerende Grundhaltung betrifft, mit schuld. Beide übrigens sind mir darin vorbildlich, dass sie nie schöne Farben, sondern nur eine schöne Farbigkeit haben. Ferner haben beide ihre Graus gleichsam dem Rauch ihrer Zigaretten entzogen und nebenbei ihre Lungen ruiniert. Ihre Selbsteinschätzung war durchaus auch graulich bescheiden, insofern sie bei den Alten Mass zu nehmen nicht zu dumm waren.
Erinnerung: Vor dreissig Jahren, zwischen Mouchard und Les Verrières das verwitterte Oxydrot eines Güterwaggons auf einem Abstellgleis. Später, immer wieder an verschiedenen Orten jene tiefgründige Strahlkraft ausgebrannter Ölfarbe an alten Scheunentoren und Fensterläden. Und das silbrige Grau Corots, Veroneses und der Infantinnen Velasquez. Ich strebe danach, vergeblich bis jetzt, allerdings jenseits solcher chromatischen Bestimmbarkeit. Sondern einzig durch die Bewegung innerhalb des Tons, gleich von welchem. Bevorzugung armer Mittel, materiell und ästhetisch.
Ich fühle mich den Teppichwebern und -knüpfern verwandt. Was in den Mitteln meiner Malerei vom Impressionismus abstammt, auch dem Sinn fürs Gewebe, täuscht darüber hinweg, dass ich mit dem Sinneserlebnis verfahre wie die Maler des Mittelalters. Ich male eigentlich aus der Vorstellung auch da wo ich mich einer fotografischen Vorlage bediene.
Bei der Betrachtung von Mondrian fällt mir ein, dass auch bei mir, wenn auch nicht so ausschliesslich und programmatisch, die Horizontalen und Vertikalen als im Bildinneren sich wiederholende Parallelen der äusseren Bildbegrenzungen eine eminente Rolle spielen.
Als Dreizehnjähriger schenkte mir mein doppelt so alter Bruder Knaurs Lexikon moderner Kunst, das ich bald fast auswendig konnte (mit Ausnahme etwa des Artikels über den Surrealismus). Unbeschreiblich was sich da alles an Phantasien und Mystifizierungen in meinem Kopf festzusetzen begann. Erst heute, nach einem halben Jahrhundert, werde ich mir dieser Wirkung bewusst.
2011:
Morandi hat in seiner Jugend Ingres studiert. Ich studiere in meinem Alter Poussin. In beiden Fällen grösster charakterlicher Unterschied zum bewunderten Objekt. Eine Art gegengeschlechtlicher Anziehung.
Archaismen werden für modern gehalten, weil sie dem Bedürfnis nach Grundlegendem entsprechen. In erster Linie aber sind diese Archaismen Kompensationen für die als immer komplizierter empfundenen Anforderungen der zunehmend technologisch geprägten Welt. Ausdruck der Zeit sind diese Archaismen also in einem gegen den Zeitgeist gerichteten, verneinenden Sinn. D.h. sie fassen nicht eine Wirklichkeit, sondern eine Sehnsucht.
2013:
Dieses (scheinbar?) planlose, gleichsam vegetative Entstehen meiner Bilder, bezeugt ein inneres Bedürfnis bei Mangel eines äusseren Auftrags (einschliesslich Unfähigkeit dazu).
Alles in mir drängt zur Produktivität. Dieser Trieb findet sich ohne vorausliegend begründete Notwendigkeit und gleicht so dem kindlichen Willen zum Spiel. Freilich ohne dessen Glück der Unbeschwertheit.
Undeutlichkeit der zugrundeliegenden Ideen, sowie der Vorstellung des ästhetischen und inhaltlichen Materials, wie letztlich auch der (tastenden) Methode, die sowohl hierhin wie auch dorthin führen kann, ohne dass klar würde weshalb.
Am vorsätzlich Fragmentarischen haftet etwas vom Geruch der faulen Ausrede, wenn in ihm die (zeitbedingte) Unmöglichkeit von Ganzheit sich nicht deutlich darstellt.
Das Allgemeine zeigt sich nur über das einzelne Besondere. Das Gleiche gilt vom Ganzen. Das bedeutet; Man kann sich auf ein Allgemeines oder ein Ganzes nicht konzentrieren. Beide sind nur dem schweifenden Blick zugänglich und bleiben blosse Ahnungen.
In der Gegenwart sehe ich schlechthin nichts was mir zukunftsverheissend erschiene. Alles was spurenweise etwas enthielte weist in die Vergangenheit zurück und ist künstlerisch weniger vital als das Meiste der sogenannten klassischen Moderne (es war).
Der Kunstproduktion eignen zunehmend industrielle Züge mit von Innovationszwang angetriebener Beschleunigung und Massenhaftigkeit. Dem entspricht auch das Wesen und Funktionieren der entsprechenden Märkte.
Jene, die sich in der Jugend aus dunklen Ahnungen heraus für eine Künstlerexistenz entschieden haben, sind zunehmend genötigt den kleinen Selbstbetrug zu Anfang mit zunehmend komplizierteren Konstruktionen aufrecht zu erhalten. Dabei halten die Geistesgaben meistens nicht Schritt mit den Ansprüchen, die der Unterhalt solcher Lügengebäude stellt.
Als Sechzehn-, Siebzehnjähriger in meiner Mansarde an der Hauptstrasse 56 in Diessenhofen auf einem Pavatex von etwa 50x70 cm mit Ölfarbe ein abstraktes Bild mit Rhythmen Pflanzenblattähnlicher Elemente, alles Grün in Grün gemalt. Ich glaubte, damit ein für alle Mal einen Modus für die Herstellung von Bildern gefunden zu haben.
Stolpern durchs unermessliche Feld kleiner Einsichten.
Ist es Elend oder Befreiung, wenn einem, unter den Angriffen später Einsichten, ehemals Erstrebtes allmählich ekelhaft zu werden beginnt?
2014:
Mein Stimmton ist der Ocker – meine Motive sind Grün. Wenn das nur gut geht!
Einem bestimmten, mich beheimatenden Ausdruck, fast ganz nur Ton – gilt mein ganzes künstlerisches Streben.
Da steht mir die sommerliche Pracht vor Augen und ich träume von Malerei. Völlig unselbständig, wie ein kleiner Junge versuche ich täglich diesen unbestimmten Traum zu sichtbarer Form gerinnen zu lassen. Die sichtbare Wirklichkeit eines Spargelbunds oder eines Landschaftsfragments als formale Grundlage und dann bin ich wieder entzückt vom Reiz etwa der Aquarellabstriche Moreaus oder anderer abstrakter Sachen und weiss alles nur halb, vor allem aber dass Malerei mit der sichtbaren Wirklichkeit alles und nichts zugleich zu tun hat. Nein, nicht einmal das weiss ich wirklich.
2016:
Den Kontinent Giacometti sollte man von der Peripherie her betreten. Abb: Alberto Giacometti Äpfel 1950 Öl Leinwand 17 x 25 cm Anfangen mit den meist kleinen Apfelstilleben. Dann zu den Köpfen, den gezeichneten, gemalten und skulptierten. Dann entgeht man der Gefahr, die langen, dünnen Stehenden von dem ihnen überstülpten Aspekt des Markenartikels her zu missverstehen. Bei Giacometti ist mir das grosse Faszinosum die Transparenz seines Raumes, in dem alles nicht nur seitlich, sondern auch in der Tiefe miteinander verbunden ist. In geringerer Betonung gilt das auch für alle andern, auch älteren, wenn alles mit allem in Beziehung steht. Allerdings kommt bei G damit eine neue malerische Qualität ins Spiel.
Noch deutlicher als in der europäischen Moderne zeigt die amerikanische ab Pollock eine Tendenz zur Reduktion der Komplexität. D.h., Einzelaspekte werden als Ganzes genommen und monumentalisiert. In letzterem verrät sich ein Mangel an Bezug auf Gegebenheiten und Tradition. In der logischen Folge ergibt sich Massstablosigkeit und absurde Stimulanz des Anspruchs an Bedeutung. (Ein Amerikaner würde nichts daran finden Klees kleine Witzchen formatlich auf ein hundertfaches aufzuplustern) Dabei gibt es in heutiger Zeit keinerlei Anlass zu Triumphalismus.
(Auswahl von Alfonso Negri)
1997:
Bemerkenswert wie das Biedere, Sorgfältige, Lebensbejahende in diesem Jahrhundert ausschliesslich mit dem Kleinen, Provinziellen verbunden bleibt. Es gibt keinen Vermeer in dieser Zeit.
"Einem reinen Künstler werden die ideologischen Inhalte des Lebens ebenso fremd bleiben, wie dem Meer die Schiffe." (Malewitsch)
"Beauté, mon beau souci..." (Valéry Larbaud)
Busoni: "Mir ist das Kunstwerk das Ende aller menschlichen Bestrebungen."
"Schönheit ist die einzige dauerhafte Funktion des Kunstwerks." (Mies van der Rohe)
"Plus on va dans son métier moins on se sent de taille à résoudre le multiples problèmes que présente une simple toile de chevalet. Peut-être devrais-je suivre l'exemple des petits maîtres que j'aime (Corot, Daumier) qui se contentaient de toiles de petites dimensions?!" René Auberjonois / Wagner 1987, p. 68
2002 bis 2004:
Auberjonois bezeichnet die Zeichnung scharfsinnig und einfach als Ossature de la peinture. Notizen
(Was nicht hindert, dass seine Zeichnungen auch im höchsten Sinne malerisch sind.)
Die "Gesehenheit" als Kriterium des Bildes: Dass Cimabues und El Grecos Bilder als gesehen wirken, zeigt wie wenig "Gesehenheit" sich auf das Impressive beschränkt, sondern sich auf das Empfinden gegenüber dem Wirklichen bezieht.
Das Chaos der verschiedenen ererbten und erworbenen Sehgewohnheiten und -möglichkeiten. Dürers "Innere Figur" ist nichts anderes als diese Gene der Sehwege und der optischen Selektion.
2005:
"Claude Monet malte vor dem Motiv, aber nur zehn Minuten lang. Er liess den Dingen nicht die Zeit, ihn zu überwältigen." (Bonnard)
Von "Selbstbehauptung vor dem Objekt" spricht Bonnard und nennt als Beispiele Tizian und Cézanne.
2006:
Diese eingezogenen Sonntage, ohne Ansprüche von aussen, ausgefüllt von dem feinen Ton Corots oder Morandis. Fragiler Zustand, immer der gleiche seit Gedenken.
Das künstlerische Glück, die Vollendung liegt in der Nuance, im kreidigen Weiss einer alten Mauer.
Ich habe mich nie wirklich im Aktuellen aufgehalten, weder rezeptiv noch produktiv. Dabei gefällt mir die damit verbundene Rücklage nicht eigentlich, der Geruch des „faisandé“ schon gar nicht, dessen Geschmack nach der Zubereitung freilich schon.
Heidegger: "Diese Tage in der Heimat Cézannes wiegen eine ganze Bibliothek philosophischer Bücher auf. Wenn einer so unmittelbar denken könnte wie Cézanne malte." (In G.Boehm/Cézanne-Mtgne.Ste.Victoire, S.131 u. 143 insel taschenbuch.)
Malerei gleicht dem Vervollständigen eines Kreuzworträtsels: Man hat ein paar Anhaltspunkte zwischen denen man ein horizontal-vertikales Gewebe zu entwickeln hat.
Der Landschafter zeigt in der Bevorzugung seines Stoffs, was er von der Zivilisation hält und erwartet.
Was wäre der Hölderlinton in die Malerei übertragen? Otto Meyer-Amden vielleicht und teilweise. Und sonst noch?
Seit die Kunst in der Moderne ihrer gesellschaftlichen Zweckhaftigkeit verlustig gegangen und sich damit selber bewusster werden musste, konnte sie eigentlich nur noch als Liebhaberei betrieben werden. Liebhaberei freilich in einem Sinne, dem das „nur“ nicht gemäss ist.
Kunst für etwas Höheres zu halten ist ungesund. Sie ist es auch so.
Morandis Grösse hängt wesentlich zusammen mit dem was er unterlassen, nicht gemacht hat. Hätte er auf Reisen Motive gesammelt (wie De Pisis), soziale Ideen demonstriert (wie Guttuso), würde ihm sein Kostbarstes, die Einheit von malerischer Delikatesse mit diesem unerhörten Wirklichkeitsgehalt versagt geblieben sein.
Es hat den Anschein, dass die sichersten Werte die unerreichbaren sind.
Die Religionen pflegen den Zahltag ins Jenseits zu terminieren. Dabei rechnen sie offenbar mit der Bilanzblindheit ihrer Kunden. Ich meine dagegen, dass wenn man einmal der Vita activa entronnen ist, man durchaus ein Gefühl entwickeln kann für die unmittelbare Abrechnung unseres Handelns noch im Diesseits. Auch Epikur hat das gewusst und so klar dargestellt, dass es wundert, mit wie wenig Wirkung.
2007:
Wir leben doch recht eigentlich von den Brosamen die vom Tische der Kunstgeschichte fallen.
Lichtenbergs Satz wonach die Erläuterungen zu einem Kunstwerk wie Anatomie Vorlesungen zu einem Sonntagsbraten seien, lassen daran denken, dass etwa Tizian jene sinnenhafte Selbstverständlichkeit zukommt und im Vergleich damit Kunst der Gegenwart fast nurmehr wie Anlass für Kommentare funktioniert, und das Werk weitgehend ersetzt.
Vernutzter Ringordner, riecht nach Jahrzehnten Gebrauch für Vereinsakten, Steuer- und Krankenkassensachen. Darin nun unter ähnlichem die Reproduktion einer Radierung von Alberto Giacometti, ausgeschnitten aus einer Kunstzeitschrift, rückseitig die zerschnittene Reklame einer Fluggesellschaft. (Die andern Anzeigen für gutbürgerliche Massivholzmöbel, Nobelcoiffeure, Silberwaren und Uhren stellen sich ein als Erinnerung.) Welch ein Unterschied zu Goldgerahmtem auf Seidentapeten. In diesem Ordner erscheint die Kunst reiner.
Minimal Art: Man zähle alles auf, was die Amöbe im Unterschied zum Menschen nicht hat und sei dann stolz auf dieses Wenigersein und –haben.
’... Mais s’il n’y avait pas de difficultés où serait l’amusement? ... (Flaubert an Turgenjew, octobre 1876)
„J’ai atteint l’âge ou l’on comprend qu’hormis la joie de travailler rien n’existe dans ce métier-là, et que tout le reste est superfétatoire, négoce ou vanité. Si mes moyens me le permettraient, je n’exposerais plus jamais et nulle part. Peut-être un josur arrivera-t-il où je pourrai réaliser ce rêve, j’en suis malheureusement loin, et tenu encore à ce métier de semi-mendiant qui me répugne.“ (Vallotton, Paris, 19 octobre 1917)
Das so genannte Genie ist auf den so genannten Spiesser angewiesen wie der Stern auf die Nacht.
2008 :
Je prononcierter im heutigen Kunstbetrieb von "Arbeit" gesprochen wird, desto weniger handelt es sich um solche.
2013:
Modernität wirkt wie die Kohlensäure im Getränk: Belebend aber nicht substanziell.