Schüler:innenarbeit 1982 (Figur am Tisch: Erich Brändle)
Unterricht Vorkursklasse
V8 1990 Au1 (Bananenzentrale)
"Da isch wie wänn…"
Abschiedsbüchlein, A6, an EB Vorkursklasse V8 1992/93 (Auswahl)
> Interaktives Booklet
Das Schöne an der Theorie ist, dass sie unterhält ohne in Praxis ausarten zu müssen. (EB Notizen 2019)
Der vom Reden über Kunstwerke lebt, hat etwas von einer Nonne, die als Hebamme arbeitet. (EB Notizen 1997)
Wie kann man Lehrer sein ohne Pharisäer zu werden? (EB Notizen 2001)
„Ce qui savent faire font, ce qui ne savent pas faire enseignent, ce qui ne savent pas enseigner enseignent aux enseignants et ce qui ne savent pas enseigner aux enseignants font de la politique.“ (Muriel Barbery in „L’élégance du hérisson“ Gallimard, 2006)
Unterricht Studioarbeit Vorkurklasse 1974 bis 2002,
an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), ehemals Kunstgewerbeschule Zürich
> Aus der Rede von Ursula Bosshard zum Rücktritt von EB 2002
> Schüler:innenarbeiten 1974 bis 2002
> Chronologische Auflistung Lehrtätigkeit/Vorträge
Aus der Rede von Ursula Bosshard (Präsidentin der Departementskonferenz Vorkurs) am 21. Juni 2002 zum Rücktritt von Erich Brändle
Es ist nicht ganz einfach, Worte zu finden für jemanden, der selbst so humorvoll, bildhaft, weitschweifend und einfallsreich redet, dass man sich manchmal daneben als rhetorische Fussgängerin vorkommt.
Damit ich nicht ganz nur auf meine eigenen Worte angewiesen bin, habe ich mich ein wenig umgehört und umgeschaut bei Kolleginnen und Kollegen und bei ehemaligen Zöglingen, die durch Erichs Schule gegangen sind. Dabei sind auch die einen und andern Sätze von Erich selbst zum Vorschein gekommen, was kein Zufall ist.
Es gehört zu seinen prägnanten Eigenschaften, Sätze fallenzulassen, die man gerne aufhebt und aufbewahrt.
…
Auch wenn Erich so viel Zeit und Kraft für die Schule verwendet hat - sein Horizont und auch seine Aktivitäten gingen immer weit darüber hinaus.
Wenn ich ihm zuhöre, kommt es mir jeweils so vor, als wäre er ein Baum, auf den sich die unterschiedlichsten Lebensvögel noch so gerne schnell niederlassen, um ihn gleich wieder zu verlassen und andern Vögeln Platz zu machen.
Sein Denken schafft Verbindungen und Übertragungen.
Die Strasse hätte ihm ebenso gut dazu dienen können, einen Gedanken anschaulich zu machen, wie ein wichtiges Erzeugnis der Kunst.
Ich kann mich erinnern, dass er einmal im Vorkurs gesagt hat, er würde lieber an einem Auto wichtige Aspekte der Plastik erläutern, als an manchen Skulpturen, die bei uns so auf den Plätzen rumstehen.
…
Erich ist belesen. Erich ist neugierig. Er nimmt sich Zeit, die Dinge die ihn interessieren, genau zu betrachten und immer wieder zu betrachten.
Er weiss sehr viel. Kunsthistorisch, kulturhistorisch, literarisch. Bei ihm kann man erleben, wie stark man mit dem Herzen gleichzeitig in vergangenen Epochen und in der Gegenwart beheimatet sein kann.
Er scheint immer mühelos Brücken zu schlagen zwischen verschiedenen Zeiten, zwischen Alltäglichkeiten und grosser Kunst, zwischen scheinbaren Nebensächlichkeiten und gewichtigen Problemen.
Ich kann mich gut erinnern, wie er einmal einen Bildvortrag zum Thema Kitsch gehalten hat. Sein Blick stellte Erzeugnisse der Souvenirindustrie neben Klassiker der Malerei. Es war ein Plädoyer für das Unterscheidungs- und Urteilsvermögen, das keine Scheu hat, die Dinge immer wieder neu zu betrachten und sich nicht unbedacht auf vorgefertigte und gesicherte Werte zu verlassen.
Erichs Denken ist breit, weitschweifig und ausladend, aber auch geprägt von Gegensätzlichkeiten. Beim Zuhören hat man oft den Eindruck, er diskutiert mit sich selbst.
Wenn er über etwas urteilt, stellt er dieses Urteil im nächsten Nebensatz unter Umständen gleich selbst wieder in Frage.
Er widerspricht gerne, andern und sich selbst - und sei es nur, um noch eine andere und neue Perspektive ins Gespräch zu bringen.
Diese Eigenschaft macht ihn zu einem manchmal nicht ganz bequemen Gesprächspartner.
Aber ab und zu bringt er etwas in einer kurzen, schnellen Skizze auf den Punkt, wie diese Zeichnung zeigt, die er von sich selbst gemacht hat.
Erichs Anliegen in seinem Unterricht waren komplex und auf vielfältige Weise differenziert.
Für manche Schülerinnen und Schüler brauchte es eine Weile, sich in der Fülle seiner Denk- und Anschauungsweise zurechtzufinden.
Denen es gelungen ist, haben nach dem kurzen einen Jahr, eine breite Basis für ihre weitere Gestalterlaufbahn mitgekriegt.
Seine Anliegen hat er auf ganz verschiedenen Ebenen vermittelt.
Die Einführungen und Erläuterungen am Anfang des Tages waren meist so reich an optischem und geistigem Futter, dass man entweder gut versorgt und angeregt, oder nachhaltig verwirrt war, je nach Temperament.
Die Anschauung,
die Reflexion auf das Beobachtete,
der Einbezug aller Sinne,
das Material,
die Technik,
das Wissen,
die Alltagserfahrung.
Alles war in Erichs Unterricht zu einem komplexen Gefüge verbunden, in dem das eine mit dem andern zu tun hat.
Ein besonderes Anliegen war ihm immer das Verhältnis, das er mit den Begriffen Idee und Handwerk bezeichnete.
In der Ausschreibung zur Theoriewoche, mit dem Titel "Der Körper des Bildes" hat er es folgendermassen formuliert:
"Bilder über die wechselseitige Beziehung zwischen Inhalt und Ästhetik aufzuschliessen und zu geniessen ist unumgänglich. Hier sei aber der Versuch unternommen, einem dritten Aspekt Aufmerksamkeit und Geltung zu verschaffen: Dem Technischen, Handwerklichen, dem Körper des Bildes eben. Es soll anschaulich gemacht und bedacht werden, wie Bildträger, Farbmaterial und deren Verarbeitung sich in wechselseitiger Abhängigkeit von inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen entwickeln und somit ideengeschichtlichen Anteil haben. Der Kursinhalt wird in Diavorträgen, durch Vorführung elementarer handwerklicher Vorgänge und Materialien sowie bei Museumsbesuchen vermittelt."
Eine Kollegin hat Erichs Unterricht in der Erinnerung "visuelle Philosophie" genannt. Eine schöne Bezeichnung. Erich ist ein visueller Denker, der das Material seiner Reflexion immer auch in den Händen behält und formt.
Es ist ihm gelungen zu vermitteln, wie vielschichtig der gestalterische Prozess ist und wie wenig linear er verläuft.
Ausgangspunkt und Wege im Unterricht waren immer wieder anders, sehr experimentierfreudig, immer auf der Suche nach neuen Zugängen und Möglichkeiten.
Kam man in sein Schulzimmer, sah es eigentlich immer aus, wie in einer Werkstatt, wie in einem grossen Atelier.
…
Seine starke Beziehung zum Handwerk und zum Material hat ihn nicht daran gehindert, sich sehr früh auch mit den neuen Medien vertraut zu machen und sie im Unterricht einzubeziehen. Meines Wissens war er einer der ersten aus unserm Kreis, der das Digitale im Farbunterricht in der Designklasse einbezogen hat.
Wie in fast allen Dingen, die er weiss, hat er sich auch den Umgang mit dem Computer weitgehend selbst beigebracht. Vermutlich mit viel kräfteraubendem Aufwand, aber vor Aufwand hat sich Erich nie gescheut.
Verglichen mit der Studioarbeit war sein Farbunterricht sehr systematisch.
Dort hat er eine durchdachte didaktisch aufgebaute Ordnung geschaffen. Diese Ordnung war immer auch exemplarisch gedacht, eine Art Gerüst, in dem man Gesetzmässigkeiten erkennen und lernen konnte.
Wobei er dann die Systeme und die Vermittelbarkeit von Regeln auch immer wieder in Frage stellte. So soll er einmal gesagt haben: "Farbenlehre ist für einen Künstler wie Fluglehre für einen Vogel"
Seine vertieften und grossen Kenntnisse im Gebiet der Farbe und der Malereitechniken sind auch ausserhalb des Vorkurses gefragt.
…
Erich verlangte viel Selbständigkeit von seinen Schülern. Er begleitete und unterstützte aber jede und jeden auf seinem individuellen Weg. Die Art wie er das machte, war seinem Temperament entsprechend sehr unterschiedlich: Er konnte väterlich behutsam und väterlich direkt sein, manchmal ausschweifend umständlich und dann wieder kurz, träf oder sogar bissig.
Er konnte sich lange zu jemanden an den Tisch setzen, eingehend schauen und reden aber dann auch wieder im Vorbeigehen schnell eine kleine Bemerkung über die Schulter zuwerfen, die den Kern der Sache getroffen hat.
Er konnte sehr allgemein und übergeordnet ein Problem erläutern, oder ganz präzise auf ein gestalterisches Detail hinweisen.
In Erichs Unterricht wurde jeder ernst genommen. Er hat ein Flair dafür, die Eigenheiten der Einzelnen zu sehen, zu schätzen und sich darüber zu freuen.
Nur allzu ernst durfte der Ernst auch nicht werden.
Manch eine oder einer war auch mal beleidigt und betupft, weil Erich selten ein Blatt vor den Mund nahm.
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Erich wurde nie ein Routinier. Seine Neugierde, seine Beteiligung und seine feine Beobachtungsgabe blieben immer wach.
Er stellte sich selbst auch immer wieder in Frage, eine Eigenschaft, die ihm seine Arbeit sicher nicht gerade erleichtert hat.
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Viele waren erstaunt, wenn sie Erichs Bilder zum ersten Mal sahen: Wie ist das möglich, so viel Ruhe, Einheitlichkeit, konzentrierte und dichte Einfachheit?
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Damals am Ende des Vorkurses hätte ich dir gerne ausgedrückt, dass ich viel profitiert habe, und sehr geschätzt, was du uns vermittelt hat. Das war aber gar nicht so einfach. Als ich ausholte zu einem langen Kompliment hast du mich fast unwirsch unterbrochen und gesagt:
"Ja weisst du, wenn ich Esel gekriegt hätte, hätte ich auch keine Pferde daraus machen können."
Dort wo du bist, ist es jedenfalls niemals langweilig.
Ich hoffe du merkst, dass das eines der grössten Komplimente ist, die man machen kann.
…